Das (neuro-)myo-fasziale System als Schmerzverursacher - nicht nur am Bewegungsapparat


Schmerzen am Bewegungsapparat können vielfältige Ursachen haben: vor allem muskuläre, neuronale und fasziale, aber auch weitere.


Der menschliche Bewegungsapparat ist aufgebaut aus (neuro-)myo-faszialen Ketten oder Schlingen, die, aus Nerven (=neuro), Muskeln (=myo) und bindegewebigen Strukturen, zu denen auch die Faszien (=faszial) zählen, bestehen.


In den zurückliegenden Jahrzehnten galten Knochen ("tun mir die Knochen weh"), Bandscheiben ("Herr Doktor , meine Bandscheibe mal wieder") und Muskeln ("ein starker Rücken kennt keinen Schmerz") als Haupt-Problemfälle des Bewegungsapparats und damit auch als Ansatzpunkte therapeutischer und präventiver Arbeit zur Verbesserung des Zustands des Bewegungsapparats.

Heute steht zunehmend das Bindegewebe in seiner Gesamtheit im Mittelpunkt therapeutischen, auch präventiven Interesses, denn wenn funktionelle Probleme am Bewegungsapparat bestehen, ist das Bindegewebe mit im Spiel, entweder als Ausgangspunkt oder als Folgeerscheinung.

Aber egal, ob Nervensystem, Muskulatur oder Bindegewebe den Startschuss für Beschwerden geben - das Bindegewebe ist oder wird früher oder später immer Teil des Problems, zunächst meist funktionell und erst später durch nicht gewünschte, weil funktionell nachteilige Strukturveränderungen (Umbauten).


Deshalb ist es folgerichtig, sich therapeutisch-rehabilitativ vor allem und möglichst frühzeitig ums Bindegewebe zu kümmern. Neben den Faszien gehören auch Gelenkkapseln, Bänder, Sehnen, auch die Bandscheiben, die hyalinen Gelenkknorpel, Menisken und sogar die Knochen zur großen Gewebeart Bindegewebe.

Trotzdem darf man die anderen Bausteine der Ketten und Schlingen nicht vergessen, denn sie spielen im Erkrankungs- und Beschwerdenkomplex ebenfalls eine wesentliche Rolle.


Wir behandeln im Rehasport und Funktionstraining die Ketten und Schlingen des Bewegungsapparats in ihrer ganzen Komplexität.

Das Bindegewebe mobilisieren und stabilisieren wir, weil es einerseits in optimaler Weise elastisch sein muss, andererseits aber auch soviel Stabilität braucht, dass es vor Verletzungen (Faserrissen) geschützt ist. Dieses grundsätzliche therapeutische Verfahren aus Mobilisation (beweglich machen) und Stabilisation (fest, belastungsstabil machen) funktioniert tatsächlich gut, denn Bindegewebe ist wie alle anderen Bestandteile des menschlichen Körpers lebendig und reagiert auf Reize mit Aufbau, Abbau, Umbau, gutem/schlechtem Stoffwechsel, guter/schlechter Flüssigkeitszirkulation - immer je nachdem, ob gute Impulse/Reize gesetzt werden oder schlechte. Gute Reize sind Bewegung und Belastung, aber auch gut dosierte Entlastung. Schlechte Reize sind Inaktivität, mangelnde oder monotone Bewegung, zuviel oder einseitige Belastung und meist zuviel Entlastung/Schonung.

Während man Bindegewebe früher eher vernachlässigte, sind seine therapeutische und auch seine trainings- und damit leistungsbezogene Relevanz heute unbestritten.


Wir beziehen bei unserer Arbeit mit dem Bindegewebe auch die inneren Organe ein, weil sie bindegewebige Anteile haben. Denn jedes innere Organ ist bindegewebig verpackt und durch Verbindungen mit dem Bindegewebe des Bewegungsapparats im Bauch- und Brustraum befestigt. Rippen- und Lungenfell, Bauchfell und der Herzbeutel sind Beispiele für bindegewebige Strukturen der inneren Organe.

Weil die inneren Organe mit dem Bewegungsapparat zusammenhängen, können in der einen wie auch der anderen Verknüpfungsrichtung Probleme "weitergereicht" werden.

So kann es sein, dass ein inneres Organ, das ein Problem hat, für Beschwerden am Bewegungsapparat sorgt; es kann aber auch umgekehrt sein, dass durch ein Problem des Bewegungsapparats Schwierigkeiten an einem oder mehreren der inneren Organe entstehen.

Das relativ bekannte Phänomen, dass Blockaden im Komplex Brustwirbelsäule/Rippen zu Irritationen (z.B. Schmerzen) in der Herzregion führen können, ist hierfür nur ein Beispiel unter vielen anderen.


Die therapeutische Arbeit mit dem Bindegewebe ist eine langwierige, weil die meisten bindegewebigen Bausteine lange Umbau-, d.h. Reparaturzeiten benötigen.

Deshalb brauchen u.a. Bandscheiben, aber auch Sehnen, Bänder und Gelenkkapseln 300-500 Tage zur kompletten Erneuerung (bis alle Fasern "ausgetauscht" sind) und damit zur vollständigen Reparatur und Heilung und zur effektiven Funktionsverbesserung oder -normalisierung.


Das bedeutet: Wer sein Bindegewebe therapieren will, braucht viel Geduld und muss einige Zeit investieren. Man muss dabei fleißig sein, denn wer nur sitzend oder liegend auf Verbesserungen des Bindegewebes wartet, wird enttäuscht, weil durch Inaktivität und Immobilität, also zu wenig Bewegung und Belastung, das Bindegewebe degeneriert, d.h. in Richtung schlechterer Funktionen umgebaut wird: Es kann fester/enger/straffer werden, so dass es funktionell weniger elastisch und beweglich ist, weil neu aufgebaute Fasern an Stellen und in Richtungen der bindegewebigen Gesamtstruktur (z.B. Faszie, Gelenkkapsel) eingebaut werden, wo sie fehl am Platze bzw. fehlausgerichtet sind. Solche chaotischen Faserneubildungen sorgen für Probleme und sind verantwortlich sogar für Kontrakturen. Derartig verändertes Bindegewebe ist u.U. auch verletzungsanfälliger, weil in der Summe meist ein Faserverlust erfolgt, aber auch weil die übrigbleibenden Fasern nicht mehr funktionsgerecht elastisch und stabil-elastisch auf Bewegungen und Belastungen reagieren können. Es kann also zu Rissen einzelner Fasern kommen, die wenn Sie sich häufen zur strukturellen Verletzung der Gesamtstruktur führen können. Der Bandscheibenvorfall oder seine Vorstufe, Bandscheibenvorwölbung, sind Beispiele für solche Verletzungen.


Der beste Rat für den Umgang mit dem Bindegewebe und dem Bewegungsapparat ist immer, nicht nur möglichst schnell therapeutisch zu reagieren, wenn´s einen erwischt hat, sondern mit dem Therapieren schon anzufangen, solange noch alles in Ordnung ist und gut funktioniert, man eben noch nicht krank ist.


Vorbeugung ist deshalb die bessere Therapie.





Gute Faszien oder schlechte Faszien?

Welche Faszien wollen Sie

Suchen Sie sich's aus!